Reisebericht
geschrieben von Detlef Weyrauch
Annapurna – Umrundung der „Göttin der Fülle“
Prolog:
Viel zu spät begreifen viele
die versäumten Lebensziele:
Freude, Schönheit der Natur,
Gesundheit, Reisen und Kultur.
Darum, Mensch, sei zeitig weise!
Höchste Zeit ist's! Reise, Reise!
Dieses Gedicht von Wilhelm Busch im Hinterkopf, mache ich mich im
Oktober 2010 gemeinsam mit meinem Sohn Thomas, weiteren 8 Mitstreitern
und dem vom Leipziger Reisebüro Adventure Train gestellten Bergführer
Andreas aus Österreich voller Erwartung auf gen Nepal.
Es soll nach fast 9 Jahren meine zweite Reise in dieses wunderschöne
Land werden.
Diesmal will ich den Göttern des Himalaya beim Trekking um
die Annapurna begegnen.
Kathmandu:
Wir erreichen Kathmandu, während die Sonne die Hauptstadt und sogar die
weit entfernten Berggipfel in ein warmes Abendlicht taucht. Unser
Stadtführer Dev empfängt uns mit Blumenketten.
Einige Änderungen
gegenüber meinem ersten Besuch springen mir gleich ins Auge. Das
Verkehrschaos ist noch größer geworden, weil viele Fahrräder und Mopeds
durch Motorräder und Kleinautos ersetzt worden sind. Im Touristenviertel
Thamel gibt es mittlerweile etliche große Geschäfte mit ebensolchem
Angebot sowie Bars und Musikkneipen nach westlichem Vorbild. Aber auch
die gute alte Rikscha gibt es noch.
In der Kultkneipe der Bergsteiger
„Rum Doodle“ lassen wir uns auf der Dachterrasse Essen und Everest-Bier
schmecken. Über dem Tresen hängen Fotos und Autogramme solcher Legenden
wie Edmund Hillary, Reinhold Messner, Chris Bonington, Rob Hall, Babu
Shiri Sherpa.
Der nächste Morgen beschert uns wunderschönen Sonnenschein
und den Sherpa Gelu, der uns beim Trekking als einheimischer Reiseleiter
umsichtig begleiten wird. Er spricht deutsch, was er im Goetheinstitut
und später als Mitarbeiter auf einer Hütte in den österreichischen Alpen
gelernt hat, zum Glück in dieser Reihenfolge.
Wir besuchen die als
UNESCO-Weltkulturerbe ausgewiesenen hinduistischen und buddhistischen
Sehenswürdigkeiten Durbar Square, Swayambhunath, Bodnath und
Pashupatinath.
Tief tauchen wir ein in das alltägliche und spirituelle
Leben der Nepalis zwischen mehreren Jahrhunderte alten Pagoden,
Palästen, Klöstern und Stupas. Am bedeutendsten Pilgerort der Hindus am
heiligen und verkeimten Bagmati- Fluss erleben wir eine Totenzeremonie
mit Verbrennung. Die farbig gewandeten Sadhus mit langem Haar und Bart
lassen sich bereitwillig fotografieren mit der Erwartung etlicher Rupies
als Gegenleistung. Affen lungern haufenweise herum und, als ich
leichtsinnigerweise eine Banane essen will, springen mich zwei davon an.
Schnell verstaue ich die gelbe Frucht wieder im Rucksack. Ein
freundliches Mädchen überredet mich zum Kauf einer Kette mit den Augen
des Buddhas.
Während Thomas und ich am Abend die engen Gassen zwecks Millieustudium durchstreifen, geht die spärliche Straßenbeleuchtung aus.
Täglicher Stromausfall in Kathmandu ist völlig normal, hat uns Dev
gesagt. Überraschend ist nur, wann und wie lange das passiert.
Im
Scheinwerferlicht der Fahrzeuge finden wir zurück ins Hotel. Am nächsten
Morgen steige ich auf’s Dach. Die großen Schneeberge des Himalaya sind
über 50 km entfernt, aber sie wirken in der klaren Herbstluft zum
Greifen nahe.
Wir staunen, als Gelu uns unsere Begleitmannschaft für die
nächsten Wochen vorstellt. Neben ihm als Chef-Sherpa werden 3
Assistenten und 7 Träger für unser Wohl sorgen. Die Fahrt durch die
engen Gassen der Stadt wird für unseren Busfahrer eine echte
Herausforderung, die nur durch intensive Mithilfe des Beifahrers,
massiven Einsatz der Hupe, Wegräumen von Motorrädern, Verkaufsständen
und anderen Hindernissen zu bewältigen ist. Wenig später stehen wir im
Stau, der uns auf der knapp 200 km langen und 9 Stunden dauernden Fahrt
ständig begleiten wird. Die Zeit hat hier eine andere Bedeutung als im
schnelllebigen Europa.
Besisahar – Tal - Manang:
Endlich beginnt unser Trek im subtropischen Gebirgsvorland am späten
Nachmittag auf
knapp 800 m Höhe. Üppiges Grün und Reisfelder säumen den Weg. Bereits im
Dunkeln
müssen wir über eine extrem wacklige Bambusbrücke den schäumenden
Marsyandy-Fluss
queren und im Stirnlampenlicht erreichen wir das Dorf Khudi mit
spartanischer Unterkunft.
Der Morgen eröffnet uns den Blick auf ein
wunderschönes Tal, während wir im Freien Tschabata (Fladenbrot) und
Omelett frühstücken.
Bereits nach zwei Stunden Wegstrecke erblicken wir
den schneebedeckten Lamjung Himal über gelb-grünen Reisfeldern. Menschen
schleppen Holz, Gras, Hausrat oder waschen Wäsche im Bach. Schüler in
weißen Hemden kommen uns entgegen. Die Sonne treibt bei blauem Himmel
das Thermometer auf 28°C und mir beim steilen Aufstieg den Schweiß aus
den Poren.
In Syange steht unsere Lodge gegenüber einem riesigen
Wasserfall. Der nächste Wandertag beschert uns brennende Sonne, dankbare
Kinder, die wir mit Buntstiften, Kulis und Luftballons beschenken und
viele Maultierkarawanen. Das Örtchen Tal liegt idyllisch in einem
breiten Tal auf 1.700 m Höhe zwischen imposanten Bergflanken. Hier
wechselt nicht nur die Landschaft, sondern auch die Religion. Tschorten,
eine Gompa (Kloster) und Gebetsmühlen sind typische Anzeichen, dass hier
der Buddhismus die Menschen prägt.
Die Lodge ist schön und bietet mir
eine lauwarme Dusche. Diese Errungenschaft der Zivilisation gegenüber
meiner damaligen Reise ins Khumbu nehme ich gerne an.
Wir steigen weiter
bergan. Die verbrauchten Kalorien werden durch täglich 3 warme
Mahlzeiten kompensiert. Einer unserer Sherpa-Assistenten läuft in der
Regel voraus, um das Mittagessen und abends die Unterkunft zu avisieren.
Die Menschen verrichten Arbeiten, die es bei uns nur noch im Museum
gibt, wie Gelu mir weise sagt: Wolle klopfen, Baumstämme per Hand sägen,
Pflügen mit Rind und Holzpflug und immer wieder große Lasten tragen. Wir
tragen nur unseren Tagesrucksack, wir haben ja Urlaub.
Vor unseren Augen
baut sich das gewaltige Massiv des 8.163 m hohen Manaslu auf. Nachdem
wir durch einen üppigen Regenwald gestiegen sind, erreichen wir das Dorf
Thanchok. Die Zeit scheint hier stehen geblieben zu sein. Die
freundlichen Menschen der Cho Yu Lodge empfangen uns mit Käffchen und
Keksen.
Wir sind jetzt 2.550 m hoch und der Abend ist kühl. Ich erlebe
allein auf einem Hügel, wie der Manaslu im letzten Abendlicht rotorange
aus einer grauen Wolkenbank heraus lugt, bevor die Nacht hereinbricht.
Buddha soll dereinst gesagt haben: „Das Verhaftetsein in materiellen
Dingen ist nicht der Weg zum Glück.“ Wie recht er damit hatte, wird mir
in einem solchen Augenblick bewusst.
Am nächsten Tag nehme ich in Chame
wieder gerne eine Errungenschaft der Jetztzeit in Anspruch, indem ich
eine E-Mail an die Lieben zu Hause absetze. Im Angesicht des Annapurna
Himal fällt nach üppigem Mittagsmahl mit vollem Bauch das Gehen schwer.
Durch schöne Pinienwälder erreichen wir Pisang. Auf deutlich über 3.000
m wird die dünne Luft spürbar. Die alten Steinhäuser schmiegen sich an
den steilen Hang. Oben in Upper Pisang betreten wir auf Strümpfen die
Gompa, nehmen auf einer Matte Platz und lauschen ehrfürchtig den Gebeten
nebst Pauken und Trompeten der Mönche. Hoch oben über den Gebetsfahnen
thronen die schneebedeckten Annapurnas.
Der Yak, den ich anschließend in
der Lodge verspeise, muss recht betagt gewesen sein. Er verlangt meinen
alten Kauwerkzeugen alles ab.
Andi bringt uns das Kartenspiel
„Demokratie“ bei, bei dem es immer einen Präsidenten und ein Arschloch
gibt. Ich tendiere meistens zu Letzterem.
Einen traumhaften Blick auf
den 7.545 m hohen Gangapurna über dem Marsyandi-Tal eröffnet uns der
nächste Tag. Im Bergdorf Braga mit einer über 500 Jahre alten Gompa
begegnen wir den ersten leibhaftigen Yaks, die nur in Höhen über 3.000 m
leben.
Im Distrikt-Hauptort Manang (3.540 m) checken wir in einer
dreigeschossigen, komfortablen Lodge ein. Die alten Steinhäuschen und
engen Gässchen stehen im Kontrast zum Touristenbereich mit Lodges, Läden
und Restaurants. Sogar ein kleines Kino gibt es hier.
Da wir eine
Akklimatisationstour machen müssen, übernachten wir zweimal im Ort. Wir
steigen am Morgen einen extrem steilen, schmalen Pfad aufwärts. Das Herz
rast und droht den Brustkorb zu sprengen. Nach über 1.000 Höhenmetern
und 4,5 Stunden erreichen wir unser Ziel. Ich bin beeindruckt von diesem
wunderschönen Fleckchen, vorne der idyllische Eissee, dahinter die
Eisgiganten Annapurna und Gangapurna.
Eine tibetische Weisheit des Drukpa Rinpoche besagt: Wende deinen Blick der natürlichen Einfachheit
der Welt zu: Den Bergen, dem Himmel, der Sonne, den Bäumen, den Blumen.
Entrümple dich! Werde wieder leicht und licht wie der Gebirgshimmel.“
Bei diesem Anblick fühle ich mich entrümpelt und leicht.
Manang – Thorong La –
Muktinath - Marpha:
Nachdem wir Manang und das Marsyandi-Tal verlassen haben, wird die
Landschaft immer
karger. Kalter Wind treibt Staub durch die Luft. Kehle und Schleimhäute
sind ausgetrocknet. Immer wieder kommen uns Maultierkarawanen entgegen. Dann heißt es, schnell Platz zu machen, sonst hauen sie dich mit ihrem
Gepäck um.
Wir erreichen Thorong Phedi auf 4.500 m Höhe. Es besteht nur
aus einer Lodge und vielen Steinhütten für die Trekker.
Zur Musik von
Eric Clapton genieße ich Käffchen und Schokokuchen. Aber wir müssen zur
Akklimatisation noch 200 m hoch und wieder runter steigen.
Mitten in der
Nacht ist Wecken. Es ist lausig kalt und das Müsli will nicht so recht
runter.
Im Stirnlampenschein steigen wir aufwärts. Trotz Anstrengung
werden meine Zehen und Finger nicht warm.
Am letzten Oktobertag stehen
wir kurz vor 9 Uhr auf dem höchsten Punkt der Annapurna-Runde, dem Pass
Thorong La auf 5.416 m Höhe und sind der „Göttin der Fülle“ recht nahe.
Für einige unserer Gruppe ist das Höhenrekord. Wir sind glücklich, es
geschafft zuhaben. Bei -10°C fegen leichte Schneeschauer über die Berge.
Es soll der einzige Tag unserer Reise ohne Sonne bleiben.
Vor uns liegen
1.600 m steiler Abstieg nach Muktinath. Das viele, in der Höhe
lebensnotwendige Trinken fordert seinen Tribut.
Als ich die Lodge
erreiche, sind zwei unserer Träger schon da, auch der mit meinem
Schlafsack. Die Leistung dieser Jungs nötigt mir höchsten Respekt ab.
„Nur, wer die Last trägt, weiß, wo sie drückt.“ – sagt ein nepalesisches
Sprichwort.
Als ich mich am Morgen aus dem warmen Schlafsack schäle,
empfängt mich ein Traumblick auf den Ort und die Berge. Die Pfützen sind
noch gefroren, aber bald erreichen uns die Sonnenstrahlen.
Muktinath ist
ein höchst spiritueller Ort sowohl für die Hindus, als auch für
Buddhisten. Tempel und Gompas zeugen vom friedvollen Nebeneinander der
Religionen und Menschen. Seit diesem Jahr führt eine Straße bis hier
herauf, die immerhin von Jeeps und Motorrädern befahren werden kann. Für
uns als Trekker ist das zwar weniger schön, den Nepalis nützt die
Verkehrserschließung in ihrem schweren Alltag.
In Jharkot, einem alten
Dorf auf einem Bergrücken, tauchen wir wieder in das für uns so
interessante Leben der Bergbewohner ein. Ein Metzger zerteilt mit der
Axt Fleischstücken. Der diensthabende Mönch erklärt uns bei der
Klosterführung ein großes Mandala. Ich kaufe einer Frau den gerade am
Wegrand auf einem Webstuhl fertig gestellten, farbigen Schal ab.
Wir
erreichen das Kali-Gandaki-Tal, das von Tibet bis in die subtropische
Ebene Nepals den Himalaya als tiefstes Tal der Erde durchschneidet. Hier
weht ab Nachmittag immer ein kräftiger Wind.
Nach 22 km Wanderung sind
wir am Tagesziel im schönen Ort Marpha (2.670m).
Expedition zum Dhampus Peak:
Ich steh' im Tal und schau hinauf, mir gehen Herz und Auge auf.
Gewaltig, majestätisch, schön seh' ich ihn leuchtend vor mir steh'n.
Die
Sonne schickt ihr erstes Licht durch Morgennebel, der noch dicht, hinauf
auf seine hohen Spitzen, die schneebedeckt weit sichtbar blitzen. Eine
unsichtbare Hand greift nach mir, zerrt am Gewand, magisch zieht sie
mich hinauf zu des Berges Gipfel rauf.
Bernd, Angelika und Bernhard
bleiben in Marpha, wir anderen marschieren durch lockeren Pinienwald
bergan.
Auf 4.100 m bauen wir unser erstes Camp auf, während uns ein
kalter Wind um die Ohren pfeift.
Die letzten Sonnenstrahlen lassen das
Nilgiri-Massiv erglühen – traumhaft.
Unsere Sherpas verwöhnen uns im
Koch- und Speisezelt mit üppigem Abendessen.
Während wir am Morgen steil
aufsteigen, müssen wir gegen starken Wind mit Schneegriesel ankämpfen.
Im Hochtal liegt reichlich Schnee.
Wir treffen eine Dresdner
Trekkinggruppe unter Leitung von Götz Wiegand.
Auf 5.000 m Höhe mühen
wir uns, Standflächen für die Zelte herzurichten. Bald steht das Camp 2
am Fuße des Dhampus Peak.
Die kurze Nacht wird grausig. Mir brummt der
Kopf und die Luft ist knapp. Erstmals nehme ich eine Tablette. Werde ich
in diesem Zustand auf den Berg kommen?
Gegen 1 Uhr beginnen unsere
Begleiter mit dem Kochen. Im Zelt zeigt das Thermometer –6°C.
Um 3:40
Uhr starten Franziska, Matthias, Jörg, Steven, Thomas, Andreas, Gelu,
Mingma und ich gen Gipfel. Niklas hat gestern abgesagt, weil er sich
nicht gut fühlte.
Meine Extremitäten sind tiefgekühlt. Der Mond liegt
als Sichel über den Bergen. Ich habe mich selten so nach der Sonne
gesehnt. Bevor uns endlich ihre wärmenden Strahlen erreichen, fällt das
Quecksilber auf -13°C.
Obwohl wir langsam gehen, fällt jeder Schritt
schwer. Thomas hat große Probleme. In 6.000 m Höhe beträgt der
Sauerstoffpartialdruck in der Luft nur noch 51% des Wertes auf
Meereshöhe, das Ausdauerleistungsvermögen sinkt auf 40%.
Wir steigen
steil über rutschiges, plattiges Gestein bergan. Der Weg scheint endlos
zu sein. Wir klettern ein letztes, schneebedecktes Steilstück nach oben
und erreichen um 9:45 Uhr den Gipfel.
Wir liegen uns in den Armen. Ich
bin sehr glücklich, dass Thomas und ich das gemeinsam geschafft haben.
6.012 m – ein Rekord für uns beide. Für mich wird es in meinem
restlichen Leben wohl nicht mehr höher hinauf gehen, denn eine derartige
Anstrengung werde ich mir nicht mehr antun können.
Der Rundumblick ist
grandios: die Achttausender Dhaulagiri, Annapurna, Manaslu, in der Ferne
Shisha Pangma in Tibet, die Siebentausender Nilgiri, Tilicho.
Hab' ich geschafft das höchste Ziel,
beschleicht mich stets ein Glücksgefühl.
Die Welt liegt unter meinen Füßen,
ich schau hinab und will sie grüßen.
Der Abstieg über Camp 2,
wo Sona mit Getränken auf uns wartet, bis hinunter zu Camp 1 saugt die
letzte Kraft aus meinem Körper. Nach fast 13 Stunden Gehzeit schleppe
ich mich in Begleitung von Andi zu dem von Thomas bereits hergerichteten
Zelt.
Nach einem von unseren netten Sherpas bereiteten üppigem
Abendessen und einem Tässchen Grog schlafe ich 11 Stunden.
Marpha – Poon Hill – Naya
Pul - Pokhara:
Wir sind zurück in Marpha, wo man ausgerechnet heute das Tihar-Fest
(Fest des Lichts) mit großer Zeremonie im Kloster begeht. Da müssen wir
dabei sein. Die um den Klosterhof gruppierten Emporen füllen sich mit
vielen Menschen.
Sogar das Regional-TV ist zur Stelle. Mönche und
Hilfskräfte mit Trommeln und extrem langen Trompeten sowie maskierte
Männer treten aus dem Gebetsraum und zelebrieren ein beeindruckendes,
spirituelles Spektakel.
Den weiteren Weg bis Larjung dominiert der
Dhaulagiri mit seinem gewaltigen Eisfall. Dem Lodgebesitzer bescheren
wir einen Superumsatz, indem wir den Gipfelerfolg mit etlichen Flaschen
Bier begießen.
Heute steht uns die längste Tagesetappe über 28 km bevor.
Ich trage erstmals Lauf- anstelle der schweren Wanderschuhe, was ich
bereuen sollte.
Das üppige Grün im Kali-Gandaki-Tal kontrastiert mit den
weißen Giganten Annapurna auf der Ost- und Dhaulagiri auf der Westseite.
Die nahen Achttausender überragen hier den Talboden um ca. 5.600 m. Das
gibt es sonst nirgendwo auf der Erde.
Es ist nicht angenehm, auf der
staubigen, lauten „Straße“ zu gehen, deshalb weichen wir auf einen
steinigen Bergpfad aus. Ein dickes Schwein sitzt auf dem Weg.
Unglaublich – im November blühen Kirschbäume, Zitronen und Mandarinen
reifen an den Bäumen.
Kurz vor Erreichen des Touristenortes Tatopani auf
nur noch 1.200 m Höhe begrüßen uns junge Mädchen mit Liedern und Tänzen.
Bereits im Dunkeln baden wir in den mit Thermalwasser gefüllten Becken.
Mein Körper klatscht in die Hände.
Man kann immer noch eins drauflegen,
denn die Etappe mit der größten Höhendifferenz von 1.630 m nach oben
erwartet uns.
Wir verlassen das Flusstal und passieren Felder mit
Bananenpflanzen und riesigen Bambusstauden.
Die Menschen haben sich, die
Tiere und Häuser zum Tihar-Fest mit Blumen geschmückt. Nach endlosen
Steintreppen erreichen wir Ghorapani.
Die lachende Quartierchefin
schmeißt den Ofen an und serviert uns Tee. Beim Bäcker nebenan erstehe
ich leckeren Kuchen.
Wir weihen Gelu, Nima und Sona in das „Demokratie“-
Spiel ein, das sie schnell begreifen. Manchmal braucht es wenig, um
glücklich zu sein.
Gegen Tourende noch mal das: 04:30 Uhr Wecken. Ohne
Frühstück pilgern wir zum Poon Hill (3.194 m), dem Ghorepani Mengen an
Touries verdankt.
Unzählige Stirlampen streben mit den unsrigen dem Berg
zu. Die noch versteckte Sonne hat einen schmalen Himmelsstreifen bereits
in rötliches Licht getaucht. Das Schauspiel ist grandios. Wie im
Zeitraffer leuchten sie von ihren Spitzen nach unten mit steigender
Sonne: Lamjung, Manaslu, der heiligste Berg Nepals Machapuchare,
Annapurna Süd und 1, Nilgiri, unser Gipfel, der Damphus Peak, Tukuche,
Dhaulagiri und viele andere.
Von Goethe ist der Ausspruch überliefert:
„Die Gebirge sind stumme Meister und machen schweigsame Schüler.“ Ob er
auch auf dem Poon Hill gewesen ist?
Wir holen das Frühstück nach und
beginnen mit dem Abstieg über endlose Stufenanlagen, durch tropischen
Nebelwald mit riesigen Rhododendronbäumen und bemoosten Eichen, vorbei
an sprudelnden Bächen.
Als wir im Magar-Dorf Uleri Gemüsesuppe und
Nudeln mit Käse essen, brennt die Sonne heiß. Am Ziel, im idyllisch am
Fluss gelegenen Birethanti haben wir mit 300 m Auf- und 2.200 m Abstieg
noch einen Tagesrekord aufgestellt.
Am Abend stoßen wir mit unseren 11
nepalesischen Begleitern auf die unvergesslichen Erlebnisse an, die wir
ohne ihre Hilfe nicht hätten haben können. Der Wirt mobilisiert seine
letzten Reserven, um unseren Bierdurst zu stillen.
Nach halbstündigem,
morgendlichem Fußmarsch erreichen wir das an einer richtigen Straße
gelegene Naya Pul und damit die „Zivilisation“ in Form von hupenden
Bussen, Jeeps, LKW’s und Verkaufsbuden.
Diesen Schock muss ich erst mal
verdauen. Ein kleiner Nepali-Bus bringt uns nach Pokhara, eine
ausgesprochene Touristenstadt am Fuße der Berge und am Phewa-See
gelegen.
Wir relaxen 2 Tage mit Shoppen, Schlämmen, Bootfahren und
Wandern zur Pagode auf einem Aussichtsberg.
Kathmandu, Bhaktapur, Patan
und Ausklang:
Für die ca. 200 km zurück in die Hauptstadt müssen wir
wieder 9,5 Stunden Busfahrt über uns ergehen lassen.
Dev begleitet uns
erneut durch die ehemaligen Königsstädte Bhaktapur und Patan.
Wir
durchstreifen die aus dem 17. Jahrhundert stammenden, gut erhaltenen,
als UNESCO-Weltkulturerbe ausgewiesen Altstädte mit zahlreichen Tempeln,
Pagoden und Palästen.
Wir verbringen einen angenehmen Abschiedsabend im
nepalesischen Traditionslokal mit üppigem Mehrgängemenü inkl. dem
Nationalgericht Dhal Bat, Musik und Tanzdarbietungen.
Gelu überreicht
jedem ein Tour-Zertifikat sowie ein Gorka-Messer mit Aufschrift „Adventure
Train“.
„Nur wo du zu Fuß warst, warst du wirklich.“
Wir haben wirklich die Annapurna umrundet, wobei wir insgesamt ca. 310 km sowie 14.800
Höhenmeter im Auf- und Abstieg bewältigt haben.
In einem Reiseführer las
ich den Spruch: „Nepal soll dich verändern – nicht du Nepal.“ Nepal hat
mich verändert und ich meine, nicht zum Negativen.
Ich steh' im Tal und schau hinauf,
mir gehen Herz und Auge auf.
Ich bin sehr dankbar für das Glück
und kehre gern nach Haus' zurück.
Detlef Weyrauch |